Viel mehr als Wald und Seen – Warum Finnland süchtig macht


Olaf Krüger, Traum & Abenteuer-Gründer und seit vielen Jahren Nordlandfan, zog es diesen Sommer mit seiner Familie erstmals nach Finnland. Inzwischen denkt er darüber nach, sich eine finnische Sauna einzurichten. In seinem Blog-Beitrag erzählt er uns, warum ihn Finnland begeistert hat.

Selbstbewusst: Rentier auf lappländischer Landstraße

Nein, einem Elch sind wir auf unserer vierwöchigen Reise durch Finnland nicht begegnet, obwohl es laut Statistik jede Menge geben muss in den finnischen Wäldern. Aber vielleicht war das ja ganz gut so, denn jedes Jahr gibt es viele Autounfälle mit Elchen. Ein ausgewachsenes männliches Exemplar kann bis zu 800 Kilogramm wiegen und eine Kollision ist für beide Parteien lebensgefährlich. Zur Freude unserer Kinder hatten wir aber eine exzellente Rentier-Sichtungsquote. Auf unserem Weg in den Norden Lapplands standen sie immer wieder am Straßenrand oder trotteten lässig und völlig unbeeindruckt den Mittelstreifen entlang. Als Fahrer weiß man nie, wann das nächste Rentier die Straße blockiert und so ist ständige Aufmerksamkeit gefragt. Das „Nutztier der Lappen“ ist übrigens nicht nur ein Kreuzworträtsel-Klassiker. Die Rentierzucht ist immer noch Lebensgrundlage vieler Samen – wie sich die Ureinwohner der nordischen Tundra heute nennen.
In den Norden zieht es mich schon seit vielen Jahren. Aber warum dieses Mal ausgerechnet nach Finnland? Schließlich hat Norwegen die spektakuläreren Landschaften zu bieten und Island kann sogar mit Geysiren und aktiven Vulkane mit exotischen Namen punkten. Spitzbergen lockt mit Eisbären, Grönland mit den größten Eisbergen der Welt und Südschweden immerhin noch mit den wärmeren Seen, mit falunroten Sommerhäuschen und den Schauplätzen aus Astrid Lindgrens Kinderbuch-Klassikern. Glaubt man gängigen Vorurteilen, reiht sich in Finnland Kiefer an Kiefer und Birke an Birke und spätestens nach einem dutzend Seen kommt definitiv Langeweile auf.

Felchenfang an den Kukkola-Stromschnellen

Tolkien-Wald oder Kahlschlag?
Um es gleich vorwegzunehmen: wir haben uns nicht gelangweilt in den finnischen Wäldern, im Gegenteil. Der finnische Wald kann dort, wo er weitgehend sich selbst überlassen wird, von betörender Schönheit sein. Wurzelstränge winden sich links und rechts der schmalen Pfade, Flechten, Moose und Blaubeersträucher bedecken den Boden, dazu vermoderndes Holz, Pilze, Farne und immer wieder gluckernde kleine Bäche und schilfumrandete Seen.
Es gab Momente in denen ich mich nicht gewundert hätte, wenn mir der tier- und waldliebende Zauberer Radagast aus „Herr der Ringe“ entgegen gekommen wäre. Im Wissen um die weltweit bedrohte Natur und die unkontrollierte Abholung der Wälder erscheint so ein Wunderwald unendlich kostbar und schützenswert. Dabei ist klar: der Wald, der drei Viertel, des Landes bedeckt, ist für die Finnen in erster Linie Rohstofflieferant und stetig sprudelnde Einnahmequelle. Große Flächen werden Jahr für Jahr gerodet. Kahlschläge, die lukrativste Form der Rodung, sind weiterhin an der Tagesordnung. Urwälder gibt es kaum noch in Finnland. 95 Prozent des Waldes sind Wirtschaftswald, ausgerichtet auf schnelle, effiziente Holzproduktion. Die Nachfrage, insbesondere aus China, ist riesig. Um die Zukunft des Waldes ist in der finnischen Politik ein heftiger Richtungsstreit entbrannt und man kann nur hoffen, dass sich am Ende die nachhaltige Waldwirtschaft durchsetzen wird.

Mumintrolle, Mücken und Melancholie
Neben dem Wald werde ich die stillen Seen mit dem wunderbar weichen Wasser in Stuttgart schmerzlich vermissen. Fast jeder Tag begann mit einem Sprung ins Wasser oder einer Exkursion auf dem Stand Up Paddle. Die echte finnische Sauna wird mir fehlen, dazu der geräucherte Lachs, das Jedermannsrecht und der exotische Charme der für uns gänzlich unverständlichen Sprache: „Kaksikymmentäkaksi“ heißt 22 und von „löylynlyöma“ spricht man, wenn man in der Sauna zuviel Hitze abbekommen hat. Nicht vermissen werde ich einzig die finnischen Mücken („itakka“), die sich auch von chemischen Keulen wie Anti-Brumm kaum beeindrucken lassen.
Offen gestanden kultiviere ich seit meiner Kindheit eine gewisse Finnland-Sehnsucht. Dazu beigetragen hat sicherlich die von Tove Jansson erdachte, wunderbare Welt der Mumintrolle. Ihre liebenswert-skurrilen Charaktere hoben sich deutlich ab von allen anderen Kinderbuchhelden und blieben mir im Gedächtnis. Die Mutter meiner ersten Freundin war Finnin und ich erinnere mich noch gut an die besondere Sprachmelodie mit der sie deutsch sprach. Die hintergründig-melancholischen Meisterwerke von Aki Kaurismäki, Finnlands bekanntestem Filmregisseur, hatten schon während meines Studiums Kultstatus. Ich weiß nicht wie oft ich „Ariel“, „I hired a contract killer“ oder „Das Leben der Boheme“ gesehen habe.
Vor ein paar Jahren lernte ich auf einem Pilgerweg in Norwegen die finnische Pastorin Päivi kennen. Sie kommt eigentlich aus Hämeenlinna bei Helsinki, aber vor drei Jahren bewarb sie sich für eine Pfarrstelle in Utsjoki im äußersten Norden Finnlands – sage und schreibe 3300 Kilometer von Stuttgart und nur noch 250 Kilometer vom Nordkap entfernt. Verdammt weit weg, wenn man sich vorgenommen hat möglichst nicht mehr in ein Flugzeug zu steigen.
Immer wieder lud Päivi mich nach Lappland ein. Dieses Jahr buchte ich endlich die Fähre nach Finnland. Die langsame Annäherung an das ferne Ziel schien mir durchaus reizvoll. Ich wollte diese immense Entfernung wirklich spüren und die Veränderungen in der Landschaft bewusst wahrnehmen.

Gratis: Blaubeeren bereichern den Speiseplan

Leere Autobahnen und russische Atomkraftwerke
Mit der riesigen Finnlines-Fähre überqueren wir also Anfang August bequem die Ostsee: Travemünde-Helsinki ganz entschleunigt in 30 Stunden. Meine Kinder staunen über den regen Schiffsverkehr und winken auf halber Strecke hinüber zur schwedischen Insel Gotland, die wir letztes Jahr gemeinsam erkundeten. Nach unserer Ankunft lassen wir lassen Helsinki zunächst links liegen und fahren mit 80 km/h Richtung russische Grenze. Wohnwagengespanne dürfen in Finnland nicht schneller fahren. Aber wir haben keine Eile. Die Autobahn ist wie leergefegt. Kaum 300 Kilometer von St. Petersburg entfernt, in Loviisa, steuern wir unseren ersten Campingplatz auf finnischem Boden an. Ein idyllisches Gelände in einer kleinen Bucht, früher im Besitz einer Reederfamilie, deren große alte Villa heute Rezeption und Aufenthaltsräume beherbergt. Aquarelle im Eingangsbereich zeigen Loviisa-Motive. Auf einem in besonders luftigen Pastellfarben gehaltenen Aquarell ist ein futuristisch anmutendes Gebäude zu sehen. Doch nicht etwa ein Atomkraftwerk? Das muss ein schlechter Witz sein. Aber tatsächlich: kaum fünf Kilometer Luftlinie vom Campingplatz entfernt betreiben die Finnen seit 1977 einen Kernreaktor, ausgestattet mit russischer Technologie. Wir bleiben am Ende trotzdem drei Tage… Und Loviisa wird vor allem wegen meines ersten Besuchs in einer richtigen finnischen Sauna in Erinnerung bleiben!

Zwei Millionen Saunas oder die große Leidenschaft der Finnen
Die Sauna ist aus dem finnischen Alltag nicht wegzudenken. Fünf Millionen Finnen betreiben sage und schreibe zwei Millionen Saunas – getreu dem alten Sprichwort: „Wenn Schnaps, Teer und Sauna nicht mehr helfen dann ist die Krankheit tödlich.“ Zusammen mit meinem Sohn Pelle begebe ich mich also in Loviisa in das kleine Holzhäuschen mit dem rauchenden Kamin. Die öffentlichen Saunen sind in Finnland immer nach Geschlechtern getrennt. Es gibt Saunazeiten für Männer und Frauen. Bald schon sitzen wir dichtgedrängt auf der ylälauteet, der obersten Sauna-Sitzbank – neben uns ein junger Finne mit seinen Söhnen. Der jüngere kann gerade mal sitzen. Drollig vor sich hin brabbelnd genießt er ganz offensichtlich, sich von seinem Vater immer wieder mit kaltem Wasser übergießen zu lassen. Der ältere sitzt schweigend neben ihm und tut das, was man in der Sauna vor allem tut: schwitzen. Pelle und ich lernen, dass man statt eines Handtuchs, auch ein kleines ca. 30 x 30cm großes Papiertuch als Sitzunterlage verwendet darf. Jede gut sortierte
Sauna in Finnland hält einen Vorrat bereit. Der junge Mann erzählt mir, dass man früher immer zuerst die Sauna baute, dann erst das Wohnhaus. Sie war schnell errichtet, sorgte für Reinlichkeit, half Lebensmittel zu trocknen und war der ideale Ort, um Kinder zu gebären. Ich entspanne mich. Im Ofen knistern Birkenscheite und verbreiten eine ganz besondere, wohltuende Wärme. Wer einmal in einer echten Holzofensauna gesessen ist tut sich danach schwer mit der elektrischen Variante. Wände und Decke duften nach Kiefernholz. Löylyä lissää lautet jetzt die Devise: mehr Aufguss! Es drückt mir den Schweiß aus den Poren und die Hitze umhüllt mich wie der feurige Atem eines Drachen. Pelle flüchtet auf die alalauteet, die untere Sitzbank. Der Finne nickt verständnisvoll und schickt wenig später eine weitere, mit Wasser gefüllte Kelle auf den Weg Richtung Ofen. Die glühend heißen Steine quittieren sie prompt mit einem eindrücklichen Zischen. Ein paar Minuten später laufen wir in der kühlen Abendluft dampfend auf einem Holzsteg zum Meer. Ich lasse mich ins kalte Wasser gleiten und spüre, wie meine Haut zu kribbeln beginnt. 1000 kleine Nadelstiche. Aber noch schützt mich meine Rüstung aus erhitztem Gewebe. Ein unbeschreibliches Gefühl! Vier Saunagänge später habe ich eine wichtige Erkenntnis verinnerlicht: Saunaregeln gibt es nur in Deutschland. Die Finnen verfahren nach der Devise: „Was gut tut ist gut.“ So lernt man, auf den eigenen Körper zu hören. Die Abkühlung kann kurz oder lang sein, genauso der Saunagang. Es ist völlig in Ordnung, wenn nicht gar Usus, sich in der Sauna zu waschen oder auch mal ein kühles Bier zu trinken – bevorzugt das der Marke Sauna. Zu erkennen am grimmig dreinblickenden Bären.

Roman Schatz, Autor der sehr lesenswerten „Gebrauchsanweisung für Finnland“ (Piper Taschenbuchverlag) schreibt: „Die deutsche Art des Saunierens sorgt bei Finnen für Kopfschütteln und mitleidsvolle Blicke. Der deutschen Mentalität ist es gelungen, aus einem archaischen Genuss eine Zeremonie zu machen, bei der es Regeln zu befolgen gilt und bei der sich die Teilnehmer gegenseitig überwachen.“

Während unserer vier Finnlandwochen wird es zum k.o.-Kriterium, wenn ein Campingplatz keine Sauna vorweisen kann (was so gut wie nie vorkommt). Ich werde geradezu süchtig nach dem Wohlgefühl, das sich nach der Sauna einstellt und mich so tief und gut schlafen lässt wie lange nicht. Im Hossa-Nationalpark schwitze ich in einer modernen Sauna, die mir durch ihr reduziert-finnisches Design und die herrlichen Ausblicke auf See, Sandstrand und Wald in Erinnerung bleiben wird. Südlich von Oulu heize ich Abend für Abend selber ein und bekomme eine Ahnung, wie schwierig es ist, das perfekte Saunafeuer in Gang zu bringen. Am Pielinen-See sitzen wir Abend für Abend in einer mobilen Anhängersauna direkt am Strand. Ich spiele inzwischen ernsthaft mit dem Gedanken mir ein Exemplar zu bestellen. Die Vorstellung, ein Stück finnische Saunakultur zu importieren, ist zu verlockend.

Was will man mehr: mobile Sauna am Strand des Pielinen-Sees


Das eindrücklichste Saunaerlebnis beschert uns Juha, Päivis Mann. An einem Samstag, dem traditionellen Saunatag in Finnland, beginnt er schon am frühen Nachmittag damit, im alten Saunahäuschen von Mantojärvi einzuheizen. Vier Stunden lang legt er immer wieder Holz nach, dann erst ist die Sauna betriebsbereit. Stundenlang können wir jetzt saunieren, ohne Holz nachzulegen. Das Innere der Sauna ist durch jahrzehntelange Benutzung rußgeschwärzt. In einer Ecke steht der mächtige gusseiserne Ofen. Um Aufzugießen müssen wir mit einem Schürhaken eine kleine Eisenklappe anheben. Eine heißumkämpfte Mutprobe für die Kinder. Im Vorraum stehen rund ein Dutzend Schüsseln, mit denen wir uns vor und nach der Sauna heißes und kaltes Wasser auf .
Wunschtemperatur mischen können, um uns zu waschen. Zwischen den Saunagängen laufen wir hinunter zum See. Das Wasser ist schneidend kalt. 10, 11 Grad mögen es sein. Rentiere beobachten uns aus sicherer Entfernung während wir übermütig herumplanschen. Am Abend wird es dann nochmal richtig heiß. Juha entzündet ein großes Feuer am Seeufer. Eine wohlige Erschöpfung macht sich bemerkbar als die Flammen meterhoch auflodern. Gäbe es hier, im Norden Lapplands, nicht eine besonders militante Mückenart, die nicht sticht, sondern mich mit ihren Bissen malträtiert und kleine Hautstückchen herausreißt – ich wähnte mich im Paradies!

Männer ohne Nerven, gerettete Ikonen und karelische Piroggen
Der Weg bis in Juhas und Päivis Sauna ist lang. Von Loviisa aus erkunden wir einen Tag lang die finnische Hauptstadt Helsinki und unternehmen einen Abstecher in die zweitälteste Stadt des Landes, nach Porvoo. Zwischen den alten Holzhäusern tummeln sich – overtourism auch in Finnland – mehr Chinesen als Finnen. Dann zuckeln wir langsam Richtung Norden. In Lahti besichtigen wir die berühmten Skisprungschanzen und staunen über den Einfallsreichtum der Finnen, denn zwischen Aufsprung und Auslaufbahn der Schanze betreiben sie im Sommer ein Freibad – ausgerollter Kunstrasen für das Sonnenbad inklusive. Im Sessellift schweben wir über die Schwimmer hinweg bis zum Eingang des höchsten Schanzenturms. Ein Aufzug katapultiert uns bis an die Ausstiegsluke der Salpausselkä-Schanze. Uns stockt der Atem. Die Knie werden weich. Wie kommt man bitteschön auf die Idee, sich hier hinunter zu stürzen? Mein Respekt vor Matti Nykänen und Sven Hannawald wächst noch einmal gewaltig. Das sind Männer ohne Nerven, die es schaffen der Schwerkraft ein Schnippchen schlagen und weder Tod noch Teufel fürchten!Nördlich von Lahti beginnt die finnische Seenplatte. Im Päijanne-Nationalpark haben wir das Gefühl, wirklich in Finnland angekommen zu sein. Bilderbuchseen, Bilderbuchwälder, Bilderbuchwetter. An einem sonnigen Tag fahren wir über die zu beiden Seiten von Wasser gesäumte schmale Landbrücke von Pulkkilanharju, stellen den Wagen ab und wandern los. Wald und See, See und Wald. Dazu Sandstrände, Blaubeeren und Temperaturen von immerhin fast 20 Grad. Was will man mehr? Na ja, vielleicht 25 Grad…
Ein paar Tage später sind wir auf dem Weg nach Karelien, in den Osten Finnlands. In Varkaus (übersetzt heißt das Diebstahl!), etwa 200 Kilometer nordöstlich von Lahti, werden wir zufällig Zeuge einer eindrucksvollen Vorführung. Ein 160 Meter langes holländisches Frachtschiff zwängt wie sich wie in Zeitlupe in den Taipalekanal und überwindet mit Hilfe einer Schleuse einen Höhenunterschied von fast sechs Metern.
Das Schiff ist so breit, dass die Matrosen uns Zuschauern mühelos die Hand reichen könnten. Nur Zentimeter trennen den Koloss links und rechts von den Betonwänden. Kaum ist der Frachter durch das Nadelöhr folgt in der Gegenrichtung ein Ausflugsschiff mit finnischen Senioren, die, Zimtschnecke und Kaffeetasse in den Händen, zu uns herüberwinken.

Wandern im Isojärvi-Nationalpark

Reisen in Finnland ist herrlich entspannt. Je weiter wir Richtung Nordosten vorstoßen, desto ruhiger wird es. Kaum Verkehr, nur wenige kleine Ortschaften. Ab und zu ein Versorgungszentrum mit Supermarkt und Tankstellen. Eine Nacht verbringen wir spontan auf einem kostenlosen Stellplatz, den das Kloster Uusi Valamo („Neu-Walaam“) bereitstellt. Es ist das einzige orthodoxen Männerkloster in Finnland. Bis 1940 war dieses Kloster auf der Inselgruppe Walaam im Ladogasee, damals noch ein Teil Finnlands, beheimatet, aber in Folge des Krieges fiel dieser Teil Kareliens an die Sowjetunion und die Mönche flüchteten in einer Nacht- und Nebelaktion nach Westen. Die meisten der alten Ikonen konnten sie nach Heinävesi in ihr neues Zuhause mitnehmen.
Das Kloster ist Gästen gegenüber sehr aufgeschlossen und lässt Besucher an der orthodoxen Tradition teilhaben. Wir frühstücken im klostereigenen Restaurant und fahren dann zum nahegelegenen Frauenkloster Lintula. Dort kommen wir mit einer älteren Finnin ins Gespräch. Sie spricht deutsch und erzählt uns, dass die Nonnen eine eigene Kerzenmanufaktur betreiben. Zusätzlich zu den rund 25.000 Pilgern und Touristen, die das Kloster Jahr für Jahr besuchen, die wichtigste Einnahmequelle. Neben dem liebevoll gepflegten Klostergarten gibt es ein kleines Café. Alte Samovars stehen auf einem Kachelofen. Auf den Tischen stehen Vasen mit frischen Blumen aus dem Garten. Die Zeit scheint stehengeblieben zu sein, doch unter einem uralten Wandtelefon mit Kurbel sitzt eine Novizin und tippt unermüdlich in ihr Laptop. Wir lassen uns den exzellenten Kuchen aus der Klosterküche schmecken. Ich bestelle mir Karjalapiirakka, die karelische Version der Pirogge, gefüllt mit leicht gesalzenem Milchreis, serviert mit einer Mischung aus Butter und Eierstücken.

Wo die finnische Seele zuhause ist
Eine der berühmtesten finnischen Landschaften liegt am Pielinen-See in Nordkarelien. Auch ohne Drohne kann man dort vom sage und schreibe 347 Meter hohen Berg Koli fast aus der Vogelperspektive auf eine Seenlandschaft blicken, die das patriotische Herz eines jeden Finnen höher schlagen lässt. In einem Seitenflügel des Hauptbahnhofs in Helsinki ist mir diese Landschaft bereits begegnet – auf einem riesigen Gemälde von Eero Järnefelt. Pikanterweise hängt sein Werk heute in einer Burger-King-Filiale. Järnefelt und andere Künstler, darunter der finnische Komponist Jean Sibelius, ließen sich um 1900 von Koli und seiner Umgebung inspirieren und machten die Gegend bei ihren Landsleuten bekannt. Karelien war für sie der Inbegriff unverfälschten Finnentums. Die Zeit war geprägt vom Streben nach einer eigenen finnischen Identität – eine Reaktion auf die Russifizierungsbemühungen der Zaren.

Eine von tausenden: Inseln im Pielinen-See

Ich stehe auf großen glatten Felsen und blicke über bizarr geformte Kiefern hinunter auf den Pielinen-See. Auf seiner tiefblauen Oberfläche schwimmen hunderte von großen und kleinen Inseln, alle bewaldet. Von unserem Campingplatz aus sind einige von ihnen mit dem Stand Up Paddle gut zu erreichen. Auf dem Wasser erlebe ich Momente völliger Stille. Mir wird bewusst wie schmerzlich ich diese Ruhe in Stuttgart vermissen werde.
Unsere letzte Station auf dem langen Weg nach Utsjoli ist der Hossa-Nationalpark an der Grenze zu Russland. Erst 2017 wurde dieser 40. Nationalpark Finnlands eröffnet. Wir sind einmal mehr begeistert von den großartigen Wäldern und dem Julma-Ölkky. Dieser größte Canyon-See in Finnland wird von senkrechten Felswänden gesäumt. Hier leben nicht nur Rentiere sondern auch Bären. Pelle und ich sind uns sicher, dass wir einen von Ihnen gehört haben! Zu gerne würde ich Hossa im Winter kennenlernen, wenn sich die Kiefern unter der Last des Schnees biegen und die Nordlichter die Nacht erhellen. Hier gibt es keine Lichtverschmutzung und somit ideale Voraussetzungen für Aurora-Begeisterte.

Am Ziel: Utsjoki wir kommen!
Von Hossa aus erreichen wir nach einem langen Fahrtag Inari. Jetzt sind es nur noch läppsiche 125 Lappland-Kilometer bis zu Päivi und Juha. Im Nachhinein können wir ehrlich sagen: die lange Anreise hat sich auf jeden Fall gelohnt! Nicht nur weil wir viel erlebt haben, sondern auch weil wir in Utsjoki mit offenen Armen empfangen werden. Fast eine Woche verbringen wir dort und tauchen noch ein bisschen tiefer ein ins finnische Leben und Dank Päivi auch in das ihrer Pfarrgemeinde. Wir lernen wunderbare Menschen kennen, kommen in den Genuss der finnischen Gastfreundschaft, essen Rentierfleischeintopf und Moltebeerenkompott und erkunden auf kleinen Wanderungen die Gegend. Juha hat ein kleines Tourismus-Unternehmen (www.lomatarppi.fi) und vermietet fantastische Mökkis (finnische Ferienhäuser) an die wachsende Zahl von Nordlicht-Enthusiasten. Er ist bescheiden, hat es aber faustdick hinter den Ohren. Ein Tausendsassa mit großen handwerklichen Fähigkeiten. Und bei Pelle hat er sowieso gewonnen, denn zu dessen 10. Geburtstag gibt es ein Elchgeweih – von Juha selbst gefunden!

Mit den Elchen habe ich begonnen, mit den Elchen soll es auch zu Ende gehen. Seit einigen Jahren bekomme ich immer wieder das Buch „Olaf, der Elch“ geschenkt. Woran das wohl liegen mag? Das besondere an Elch Olaf ist, dass er nur eine Geweihschaufel besitzt. Die andere ist abgebrochen. Der Arme taugt nicht mal mehr zum Weihnachtselch. Dank Juha wird sich das ja vielleicht bald ändern.

Reiseinformationen Finnland

Erstmal ein paar Zahlen:

Klima: Durchschnittliche Temperatur im Juli 2018: Helsinki 21,6°C, Sodankylä (Lappland) 20,1°C; im Februar 2019: Helsinki 0,4°C, Sodankylä (Lappland) -11,7°C
Lage: Zwischen 60. und 70. nördl. Breitengrad; zwischen 20. und 30. östl. Längengrad
Landesfläche: 338.435 Quadratkilometer (75% Wald, 10% Wasser, 8% landwirtschaftliche Nutzfläche)
Hauptstadt: Helsinki (650.033 Einwohner, Hauptstadtregion: 1.172.544 Einwohner; Stand: Dezember 2018)
Bevölkerung: 5.517.919 (Dezember 2018 ), davon 391.746 Personen mit ausländischer Muttersprache; davon 6.317 mit Muttersprache Deutsch (2018)
Landessprachen: Finnisch und Schwedisch, in Teilen Nordfinnlands auch Nordsamisch, Skoltsamisch und Inarisamisch
Nationalfeiertag: 6. Dezember (Unabhängigkeitstag)
Unabhängigkeit: Proklamation 6. Dezember 1917 (Loslösung von Russland)
Wichtigste Städte:
Helsinki – Hauptstadt und größte Stadt des Landes an der Nordküste des Finnischen Meerbusens. Zu den wichtigsten Sehenswürdigkeiten zählen die Felsenkirche, die Domkirche am Senatsplatz und die Festungsinsel Suomenlinna.


Wer sich vertiefen und weiter inspirieren lassen möchte wird hier fündig:
www.visitfinland.com
www.finland.fi/de/leben-amp-gesellschaft/finnische-sitten-und-brauche/
www.sueddeutsche.de/thema/Finnland

 

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