WALD & WIR – Der Traum von einem Stück Wildnis mitten in Deutschland

Seit vielen Jahren habe ich eine Idee im Kopf, die mich umtreibt. Ich würde gerne ein Stück Land besitzen oder besser gesagt, ein Stück Natur, mit Wald und Wiesen. Für mich ist es ein eher emotionaler als rationaler Wunsch. Und ich merke, dass der Wunsch nach Autarkie und Natur in den letzten Jahren immer größer wird. Was mich antreibt ist die eigene Ungeduld: Immer mehr versiegelte und bebaute Flächen, immer weniger Waldflächen und immer mehr Monokulturen. Veränderungen, die in meinen Augen dringend nötig wären, gehen mir viel zu langsam. Ich weiß, „perfekt“ gibt es nicht. Deutschland ist schön, ich bin dankbar hier leben zu dürfen. Es ist eines der freiesten Länder der Erde. Zu unserem demokratischen System gibt es keine Alternative. Die Stärke unserer Demokratie ist vielleicht auch eine kleine Schwäche. Entscheidungsprozesse sind träge und enden oft in  Kompromissen. Aber ich weiß auch, Veränderungen brauchen Zeit. Wir Menschen haben oft Schwierigkeiten damit. Doch ein paar Dinge auf dieser Welt haben für mich unschätzbaren Wert. Dazu gehört auch Zeit. Denn für den Einzelnen ist sie nur begrenzt verfügbar.

(Text/ Bild: Daniel von WELT & WIR)

 

 

Ich bin in Südamerika aufgewachsen. Dort sind die Ländereien riesig und Distanzen – und im übrigen auch die Zeit (-angaben 😉 ) – haben eine andere Dimension. Mein Vater, der heute noch in Südamerika lebt, besitzt selber ein großes Stück Land. Aber wie ist das in Deutschland? In den letzten Jahren, habe ich mich immer wieder dabei erwischt, wie ich im Internet nach Grundstücken suche, Ausschreibungen vergleiche, Versteigerungen verfolge und mich mit Immobilienangeboten beschäftige. Mein Traum wäre ein großes Stück Land, vielleicht mit Wohnmöglichkeit, vor allem aber viel Natur und Wald. Im Laufe der Zeit wurde meine Suche und auch die Ideen immer konkreter: Eine möglichst große Naturfläche finden, aus der Nutzung nehmen und der Natur zurückgeben, möglichst in Reichweite unseres Wohnortes und den WELT & WIR Studios – und irgendwie finanzierbar. Ich möchte selber aktiv werden, statt auf andere zu hoffen.
Wir schauen uns verschiedene Grundstücke an. Schnell wird klar, dass die Immobilien und Grundstückspreise unfassbar teuer sind – manche sagen überteuert. Aber vielleicht sind die Grundstückspreise Anzeichen dafür, dass unser Wirtschaftssystem nicht ganz so perfekt ist, wie wir alle uns das gewünscht haben. Das Maximalprinzip muss irgendwo auch Grenzen haben. Vielleicht haben wir die Grenzen schon längst überschritten und realisieren die Auswirkungen so langsam. Denn was unserem Wirtschaftssystem sicher fehlt ist  „Maß“ und „Wertschätzung“ als fester Bestandteil.

Mittlerweile haben Susi und ich über 60 Länder der Erde bereist. Gar nicht mal so viel, denke ich mir. Europa allein besteht schon aus knapp 50 Ländern. Wenn ich so überschlage, dann habe ich rund acht Jahre meines Lebens im Ausland verbracht. Die meiste Zeit in Südamerika. Heute leben meine beiden Kinder, Susi und ich wieder in Deutschland. Auch wenn ich nie Heimweh hatte, hier fühlt es sich heimisch an. Aufgrund der aktuellen Situation mit Kindern und der Pandemie haben wir das Reisen reduziert. Wir sind nicht mehr so viel und vor allem so lange unterwegs. In den letzten Jahren sind wir mit unserem alten Wohnmobil nach Italien gefahren, Deutschland haben wir kreuz und quer bereist. In Südamerika war ich schon seit fünf Jahren nicht mehr. Die vierjährige Weltumrundung mit dem Fahrrad liegt noch weiter zurück.

 

 

Es waren viele Monate der Suche, der endlosen Recherchen, zahlreiche Besichtigungen und Gespräche. Im Grunde findet sich nichts, was realistisch unserem Budget entspricht. Die Suche führt uns in den Bayerischen Wald, wir fahren nach Sachsen-Anhalt und weiten unseren Radius sogar bis in das benachbarte Tschechien aus. Bei der Internetrecherche lande ich sogar in Schweden und Norwegen. Wow, da gibt es tolle Ecken. Wir merken bald, dass es keinen Sinn macht, weiter als zwei Stunden zu fahren, aus Zeit- und vor allem auch aus ökologischen Gründen. Innerlich verabschiede ich mich langsam von der Idee selber ein Stück Wildnis in Deutschland zu schaffen.

 

 

An einem frühen, nebeligen Morgen im Herbst 2018 finde ich einen Zettel von Susi auf dem Küchentisch: „Hab was im Internet gefunden!“. Zwei Tage später sitzen wir wieder im Auto. Wir fahren Richtung Norden, diesmal in den bayrischen Frankenwald. Die Fahrzeit beträgt keine zwei Stunden. Wir verfahren uns. Das Grundstück liegt versteckt, einsam. Wir stehen oben an einer Kante und blicken in ein bewaldetes Tal, welches in eine Art Trichter endet. Vieles von dem, was wir vorfinden, ist in einem sehr schlechten Zustand: Die Waldflächen leiden unter Schädlingsbefall und Trockenheit. Die einst artenreichen Biotopflächen und Magerwiesen sind durch mangelnde Pflege verbuscht und das Grundstück ist teilweise stark vermüllt. Es ist ein Grundstück, das kein Käufer haben möchte, weil es auf den ersten Blick unattraktiv und unprofitabel erscheint. Aber uns geht es nicht um wirtschaftlichen Profit, ganz im Gegenteil.

 

 

Im Frühjahr des nächsten Jahres unterzeichnen wir den Kredit- und Kaufvertrag für 5 ha Land in dessen Zentrum ein altes, sanierungsbedürftiges Bauernhaus steht – ohne zu ahnen, dass wenige Tage später ein Virus das gewohnte Leben der meisten Menschen auf diesen Planeten von heute auf morgen komplett verändern wird. Und doch, trotz aller Ungewissheit: Es fühlt sich großartig an, es fühlt sich richtig an!
Wir haben viele Pläne. Was hier entstehen soll, ist klar: Wir wollen große Teile des Grundstücks der Natur zurückzugeben und für die Artenvielfalt ein Zuhause schaffen. Entstehen soll ein wilder Wald, ursprünglich und ökologisch. Ein Wald aus heimischen Mischwald, Totholz, mit Blaubeeren, Pilzen, Insekten und noch viel mehr Leben… Ein Wald, in dem sich die Natur frei entfalten kann, möglichst ohne große Eingriffe des Menschen. Auf rund einem Hektar Fläche soll in naher Zukunft eine wilde Streuobstwiese mit alten Sorten angelegt werden. Diese wollen wir fördern und unterstützen. Durch die Pflege der vorhanden Biotopflächen und Magerwiesen sollen geschützte Pflanzen und vom Aussterben bedrohte Insekten, wie seltene Schmetterlingsarten wieder einen Lebensraum finden. Es ist viel zu tun. Das große Abenteuer wird darin besteht, alles zu einer stimmigen und funktionierenden Einheit zusammen zu bringen.


+++AKTUELL+++
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